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Handbuch Studienberatung

Leseprobe - Kapitel "9.3.1 Supervision"


Was ist Supervision?


Supervision ist ein (selbst-)reflexiver, diskursiver Lernraum der arbeitsbezogenen Beratung zur Professions- und Persönlichkeitsentwicklung sowie der psychischen Entlastung, der unterschiedliche Theoriekonzepte nutzt. Supervision greift dabei – je nach supervisorischer Schule – auf Psychoanalyse, Soziologie, Kritische Theorie, Systemtheorie, Gruppendynamik, Psychodrama, Themenzentrierte Interaktion und weitere Konzepte zurück, distanziert sich dabei aber explizit von therapeutischen Zielen (vgl. →5.1 Grundorientierungen in der Psychotherapie). Dabei hat Supervision grundsätzliche Ähnlichkeiten mit der Fallarbeit in kollegialer Beratung (vgl. →9.3.2 Kollegiale Beratung für Studienberatende), allerdings bringt der/die Supervisor:in neben der notwendigen Außenperspektive sowie Moderationserfahrung vor allem die methodische Ausbildung und Erfahrung mit. Diese beinhaltet Erfahrungen aus vergleichbaren Situationen sowie eine persönliche Distanz und Unabhängigkeit: Der/die Supervisor:in ist nicht in die Realitäten der Supervisand:innen verstrickt.

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Zielgruppen von Supervision


Supervision lässt sich – je nach Zielsetzung – für unterschiedliche Zielgruppen konzipieren. Berufseinsteiger:innen erhalten Handlungssicherheit und entwickeln Rollenklarheit. Berufserfahrene sichern ihre Beratungsqualität und verbessern ihre CopingStrategien. Mitarbeitende in Teams erhalten einen methodisch strukturierten Raum, sich selbst und ihre Kooperationen zu thematisieren. Leitungskräfte können ihre Rolle klären und Impulse für die Organisationsentwicklung gewinnen.

Fallbeispiel: Erkenntnisgewinn mit Reflecting Team und Transfer auf neue Handlungsstrategien


Eine Studienberaterin berichtet in der Fallsupervision von einer Ratsuchenden, die ihr Studium 30-jährig begonnen habe. Für die Studentin laufe es ganz gut, aber nun sei die Beendigung ihres Masterstudiums in Gefahr, da die Abgabefrist demnächst ablaufe. Die Universität habe sie bereits mehrfach angeschrieben und über den Fristablauf informiert. Dennoch habe die Studentin bisher nicht gehandelt. Die Studienberaterin kann sich das Verhalten der Studentin nicht erklären und bringt den Beratungsfall als Fragestellung ein.

Die Supervisorin wählt die Methode des Reflecting Teams (vgl. Kaldenkerken 2014). Die Falleinbringende rückt aus dem Stuhlkreis etwas nach außen und hört zu, während die Gruppenmitglieder miteinander assoziieren, Fantasien und Hypothesen äußern. Dabei wird der Falleinbringenden ganz schnell der verdeckte Gewinn der Studentin, das Studium nicht zu beenden, klar: Die jetzige, für sie sehr passende Lebensgestaltung als Studentin mit Arbeitsstelle würde enden, und das wäre für die Ratsuchende nicht erstrebenswert.

Die Falleinbringende wird in ihrer schweigenden Außenposition unruhig, will schnell zurück in den Kreis und mitsprechen, sodass die Supervisorin noch um ein wenig Geduld bitten muss. Diese Unruhe wird als Spiegelungsphänomen in der Falleinbringung interpretiert und es entsteht die Frage, was die Ungeduld der Beraterin mit dem Fall zu tun hat (vgl. Kaldenkerken 2014).

Anschließend kommt die Falleinbringende wieder in den Innenkreis und berichtet von ihren Gedanken und Empfindungen während des Reflecting Teams sowie ihren Erkenntnissen, die nun Einfluss auf ihre zukünftige Haltung und den Umgang mit der Ratsuchenden haben werden. In der folgenden Arbeitsphase tauscht sich die Gruppe darüber aus, wer ähnliche Erfahrungen hatte. Schnell wird deutlich, dass fast alle ähnliche Ratsuchende kennen, deren Fallgeschichten aber natürlich Unterschiedlichkeiten aufweisen.

In einer Auswertungsrunde werden die jeweils neuen Erkenntnisse aus der Erarbeitung sowie die Möglichkeiten des Transfers auf die Beratungstätigkeit der Studienberater:innen miteinander besprochen.

Good Practice: Supervision als kontinuierlicher Lernprozess


Supervision entfaltet ihre Wirkung am besten als kontinuierlicher Lernprozess in festen, regelmäßigen Gruppen mit bestehender Vertrauensbasis. Dafür ist es notwendig, dass die Gruppen regelmäßig (alle vier bis sechs Wochen) für mindestens zwei Stunden zusammenkommen und mindestens für jeweils ein Jahr in der Zusammensetzung stabil bleiben. Eine Kenntnis der Supervisor:innen des Arbeitsfeldes wird von Gruppen häufig gewünscht; stärker ausschlaggebend für erfolgreiche Supervision ist aber einerseits die gute Ausbildung, nachgewiesen bspw. durch die Mitgliedschaft im Berufsverband der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching e. V., und andererseits die sorgfältige Kontraktierung der Supervision im Dreieck zwischen Auftraggeber:in, Supervisor:in und Gruppe.

In Niedersachsen hat sich eine besondere Lösung bewährt: In jährlich fünf Gruppensupervisionen kommen je bis zu zwölf Studienberater:innen aus unterschiedlichen niedersächsischen Universitäten und Hochschulen für je sechs Stunden zusammen. Nach einer Austauschrunde mit Informationen und Erfahrungen erfolgt die supervisorische Fallarbeit oder Institutionsanalyse mit einer bilanzierenden Schlussrunde.

Diese Lösung hat den Vorteil, dass eine größere Fremdheit und Unabhängigkeit zwischen den Supervisand:innen besteht, was sich für die Fallarbeit als positiv erweist, weil keine teaminternen Abhängigkeiten bestehen und der Blick von außen neue Impulse geben kann. Zudem profitiert die Fachlichkeit der unterschiedlichen Beratungskonzepte innerhalb des Landes vom Austausch. Als Nachteil ist der damit verbundene Reiseaufwand zu erwähnen. Zusätzlich findet in den Teams vor Ort Intervision statt.

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